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11c. Blick auf Haus Nachrodt über Parkwiese (1).JPG

Geschichte der
Kulturgüter Haus Nachrodt

Wer es sich als Frühindustrieller leisten konnte, übernahm schon um 1800 einen Adelssitz, so  (z.B. die Löbbeckes die Burg Klusenstein im Hönnetal, Haus Hemer und Schloss Edelburg in Menden). 

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Zeittypisch versuchte auch die Kaufmanns-Familie Schmidt, im 19. Jahrhundert ihren Vorstellungen des adeligen Lebens nachzueifern. Eduard Schmidt kaufte 1818 das angrenzende Gut Nachrodt, und errichtete wohl im selben Jahr ein komplett mit Gewölbe unterkellertes Wohnhaus als klassizistisches Herrenhaus aus verputztem Bruchstein mit schieferbedecktem Krüppelwalmdach, das heutige „Haus Nachrodt“. Er verheiratete sich 1826 mit Emma Löbbecke, die ebenfalls aus einer alteingesessenen Iserlohner Bürgerfamilie stammte und deren Bruder Alexander als Held der späteren Aufstände verehrt wurde („Alexanderhöhe“ in Iserlohn).

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Ihre Schwester war verheiratet mit Eduards Bruder Wilhelm Schmidt, der Elverlingsen übernahm und später Inhaber die Firma „J.H. Schmidt Söhne“ weiterführte, bevor der Schwager Alexander Löbbecke sie übernahm. Ein weiterer Bruder war Wilhelm Löbbecke, der seinen Sitz auf dem Gut Schleddenhof , dem heutigen Iserlohner Stadtteil „Seilersee“, hatte.

Der weitläufige Obstgarten neben Haus Nachrodt wurde auf Wunsch von Emma Schmidt etwa 1842 in einen Landschaftspark umgewandelt. Der, wie alle anderen Gebäude des Hofes, heute unter Denkmalschutz stehende Park mit Parkwiese, Rundwegen und Badehäuschen an der Lenne kann heute noch diverse exotische Bäume und Pflanzen wie Eibe, Tulpen- und Trompetenbäume, Platanen, Hängebuche, seltene Koniferen, Kastanien, Robinien, Blutbuchen, meterhohe Buxbäume und Rhododendren vorweisen und vermittelt seine eigene romantische Atmosphäre. Besonders schön ist ein geführter Besuch zur Blüte der Rhododendren, Azaleen und Kamelien Ende Mai.

 

Die östliche Seite von Haus Nachrodt wurde etwa zur selben Zeit komplett umgebaut und nach Vorbild biedermeierlicher Wohnkultur der bürgerlichen Oberschicht in repräsentative Räume umgewandelt.

 

1841 starb der einzige Sohn von Eduard und Emma Schmidt in Nachrodt. Am Rande des Nachrodter Feldes wurde im Wald ein heute verwunschen eingewachsenes Erbbegräbnis angelegt, welches ebenfalls unter Denkmalschutz steht und bei einer Führung besichtigt werden kann. Daneben auf einem Felsen hoch über einer Flussschleife der Lenne entstand eine Kapellen-Ruine („Klara´s Höhe“), um deren Ursprung sich einige Legenden und Geschichten ranken. Diese ist in den 1950er Jahren aus Sicherheitsgründen abgebrochen worden. Eine Lindenallee führt von Haus Nachrodt durch den Park über die Bundesstraße entlang der Bebauung bis zum Erbbegräbnis.

 

1842 starb früh auch Eduard Schmidt. Seine Witwe Emma übernahm mit fester Hand die Leitung der äußerst erfolgreichen Firma, bis diese 1873 mitsamt einigen Grundstücken und einer Mitarbeiterzahl von 560 verkauft wurde. Emma starb 1880 und liegt ebenfalls auf dem Erbbegräbnis begraben. Die  Entwicklung der Fabrik und der damit verbundenen Bevölkerungszuwächse als Voraussetzung für die spätere Ortsgründung Nachrodt sind maßgeblich auf Eduard und Emma Schmidt zurückzuführen, zumal sie schon früh den Bau von Arbeiterhäusern, Eröffnung von Lebensmittelgeschäft, Kindergarten, Schule, Casino usw. gefördert haben.

 

1843 wurde das Kelleramt mit den 37 Höfen von Altena aus verwaltete, selbstständige Gemeinde.

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Haus Nachrodt historische Ansicht 19.Jh.klein.jpg
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Dass sich heute noch Haus Nachrodt in exponierter Lage gegenüber der Kirche und die Anlagen rundherum mit Park, Erbbegräbnis und Alleen in diesem erkennbar zeittypischen Zustand erhalten hat, ist besonders, und erzählt uns Einiges über die Zeit und Lebensweise der frühen Industrialisierung über die Kaiserzeit bis zum 2.Weltkrieg.

 

Heute gilt es, dieses Kleinod und herausragende Ensemble der letzten über 250 Jahre mit den Kulturdenkmälern Hof, Gärtnerhaus, Park und Haus Nachrodt sowie die zugehörigen Höfe Dümpel für die Nachwelt zu erhalten. Dazu zählen auch die Erbbegräbnisse der Familien Schmidt / von Löbbecke und Holtzbrinck / von Carlowitz (im Ortsteil Opperhusen) und die umgebende Natur. Mehrere Wanderwege führen von Nachrodt in die Wälder des Lennetales, so auch der Rundwanderweg über Klara´s Höhe mit Blick auf die Höfe Dümpel und in die herrliche Natur des Lennetales, welches ob seiner Schönheit früher von zahlreichen Dichtern gerühmt , besungen und auch „Westfälische Schweiz“ genannt wurde. Diese Erhaltungsaufgabe übernahm 2012 übernahm die Familie von Löbbecke –Campe, indem sie nötige Renovierungen durchführt und die zahlreichen Gebäude neuen Nutzungen zuführt.

 

Aktuell werden die Original-Fenster von Haus Nachrodt aus dem 19. Jh. mit der Hilfe von Bundesmitteln restauriert. Der kürzlich renovierte Flügel wird mit einem Benefiz-Konzert im April 2022 eingeweiht und steht dann für weitere Konzerte in Emmas Hochzeitssaal bereit. Mit verschiedenen Universitäten werden und wurden Forschungen im Denkmalbereich durchgeführt. Und es wird mobilisiert gegen den Abbruch der ältesten noch erhaltenen Lennebrücke und Neubau einer kurzlebigen Betonbrücke üppigen Ausmaßes mitten in die einmalige Natur und durch die Parkanlage, die den ohnehin schon starken Verkehrsfluss, der sich mit täglich 15.000 Fahrzeugen an Haus und Hof vorbeiwälzt, noch begünstigen wird.

Ein Förderverein „Freundeskreis Kulturgüter Haus Nachrodt e.V.“, der sich um Kulturveranstaltungen, Bildung und Forschung kümmern wird, ist in Gründung. Interessierte, die Informationen zu Veranstaltungen erhalten oder sich einbringen und unterstützen möchten, sind herzlich willkommen.

 

Besichtigungstermine und Gruppenführungen können gerne unter 0162-432 435 2  oder Instagram/hausnachrodt1818 vereinbart werden. Dort bekommen Sie ebenso weitere Informationen, wie auch unter www.haus-nachrodt.de.

 

Fotos:  Familienarchiv v. Löbbecke Haus Nachrodt, Charlotte v. Löbbecke-Campe

 

Quellen:

  • Familienarchiv v. Löbbecke Haus Nachrodt

  • H. Henniges/ Dr. H.Voges: „Chronik der Familie Löbbecke“ 1911

  • P.H. Bousardt: „Eduard Schmidt, ein verdienter Iserlohner Industrieller- zum 100. Todestag des Begründers des Werkes und der Gemeinde Nachrodt“

  • „50 Jahre Landgemeinde Nachrodt-Wiblingwerde- Westfalen“ 1957

  • „Heimat und Lied – Nachrodter Heimatfest 1974“

  • „Nachrodt-Wiblingwerde- Beiträge zur Heimat- und Landeskunde“  - Heimatbund Märkischer Kreis 1984

  • Gustav Rosendahl: „Lob der Heimat“ 1984

  • „100 Jahre Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde“

  • Ewald Giebel: „Walzwerk Nachrodt – Chronik eines Unternehmens“ 1987

  • Geschichtskreis Letmathe: „Wo Letmather ihr Geld verdien(t)en – Teil 2“ –Heimatverlag Letmathe 2010

  • August Kracht: „westfälische Kunststätten  Heft 42– Haus Hemer“ –Westfälischer Heimatbund 1987

Für die Hochzeit der jüngsten Tochter Emma mit Robert Löbbecke, einem Vetter aus Braunschweig, wurde an der Südseite von Haus Nachrodt 1853 ein Saalbau errichtet, der von außen klassizistisch anmutet und von innen reich ausgestattet wurde. 1862 kaufte Emma Schmidt einen Flügel der Firma Blüthner aus Leipzig, der seitdem an Ort und Stelle steht und aktuell, mithilfe von Spendengeldern restauriert, für Konzerte bereit steht.

 

Die 4 Kinder des Paares wurden von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio unterrichtet, der als Dichter der allseits bekannten Volkslieder wie „Kein schöner Land in dieser Zeit“ und „Die Blümelein, sie schlafen“ gilt. Er starb am 25. März 1869 nach der Besichtigung der gerade erst entdeckten Dechenhöhle in Haus Nachrodt als Gast der Witwe Schmidt, und wurde in Altena begraben.

 

Noch im 19. Jh. wurde das dem Herrenhaus benachbarte Bauernhaus in ein sogenanntes „Logierhaus“ für Gäste der Familie umgewandelt. Der Gartenbereich zwischen den Gebäuden wurde dem Park angegliedert. Rechts und links des Hauses wurde jeweils eine Pergola gebaut, die auf der Westseite in einen Wintergarten mündete. Auf der südseitigen Saalseite entstand ein großes Gewächshaus. Beide Glasbauten sind heute nicht mehr vorhanden, die Pergola nur noch auf der Parkseite. Auf der anderen Straßenseite wurde um 1900 ein Gärtnerhaus im Stile eines Bürgerhauses errichtet, welches heute ebenfalls unter Denkmalschutz steht.

 

1879 übernahm Enkel Eduard Löbbecke Gut und Haus Nachrodt. Zu dieser Zeit hatte Nachrodt etwa 1000 Einwohner. Die Amtsverwaltung der Gemeinde Kelleramt wird 1886 von Altena ins Haus Nachrodt verlegt. Eduard Löbbecke, der neben der Verwaltung des Gutes eine politische Karriere in der Gemeinde, dem Kreis- und Landtag eingeschlagen hat, wird später für seine Verdienste um das Allgemeinwohl in den erblichen Adelsstand erhoben. In seine Amtszeit als Ehrenamtmann 1886-1900 fallen etliche Neuerungen wie die Durchsetzung einer Haltestelle der Bahnlinie Hagen-Siegen mit dem Bau des Bahnhofs Nachrodt und der Bahnhofsbrücke, Bau des ersten Hotels, Einrichtung der ersten Arztpraxis, Apotheke und Postagentur, Bau des Amtshauses, öffentliche Straßenbeleuchtung, Bau der Landstraße 692 nach Wiblingwerde, Bau einer Straßenbahn, u.a.

Eduard von Löbbecke stellte die Weichen für die spätere Vereinigung der Gemeinden Kelleramt und Wiblingwerde zur Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde, die im Jahre 1907 gegründet wurde. Haus Nachrodt in seiner Entwicklung vom Gutshof über Industriellen-Villa bis zum Adelssitz ist als Namensgeber für den Ortsteil an der Lenne vor dem Hintergrund der industriellen Entwicklung des Ortes wohl als Wiege desselben zu bezeichnen.

 

Mit der Erhebung in den Adelsstand wurde das Bemühen der Familie um gesellschaftlichen Aufstieg belohnt. Man verkehrte und heiratete in höchsten Kreisen, verdingte sich als Offiziere beim Militär, betrieb Pferdezucht, bis die geschichtliche Entwicklung in Politik und Gesellschaft die Familie einholte.

Auch im 20. Jahrhundert stieg der Bedarf an Wohnraum durch Industrie und Kriegsvertreibung stetig an. So wurde auch das dem Hof zugehörige Feld in Wohnraum umgewandelt.

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